Mit Virtual Reality die Beteiligung bei der Energiewende stärken

Mit Virtual Reality die Beteiligung bei der Energiewende stärken

Wind of Change: Unterstützung für Kommunen in Nordrhein-Westfalen

Mittendrin statt nur vorgestellt: VR und AR sind wirksame Hebel für mehr und bessere Bürgerbeteiligung bei der Energiewende in Kommunen.

Thema:
Beteiligung
Format:
Erfahrungsberichte
Zuletzt geändert am 29. April 2025

Die Energiewende ist eine Aufgabe von Kommunen, kann allerdings mit Widerstand aus der Bevölkerung verbunden sein.

Online-Beteiligung kann durch Augmented und Virtual Reality ergänzt werden, um geplante Maßnahmen stärker zu visualisieren. 

Dies hilft, Konflikten bei Beteiligungen frühzeitig entgegenzuwirken und passende Strategien zur Steuerung des Beteiligungsprozesses zu entwickeln. 

Erneuerbare Energien sind ein Schlüssel für effektiven Klimaschutz. Sie sind (fast) ohne Limit verfügbar. Aber: Es braucht Baumaßnahmen, um sie nutzen zu können – was nicht selten zu Konflikten mit der Bevölkerung vor Ort führt. Wie können diese Widerstände minimiert werden? Welche Möglichkeiten gibt es, Menschen im wahrsten Sinne vor Augen zu führen, was Windräder und Co. für die Umgebung bedeuten? Der Beitrag greift die aktuelle Situation von Kommunen auf und stellt die Möglichkeiten von AR und VR bei der Energiewende vor.  

 

Mehr Energie aus Sonne, Wasser und Wind – wer könnte dagegen sein? 93% der Bevölkerung in Deutschland ist der Ausbau der Erneuerbaren wichtig, wie eine Umfrage des BMWK aufzeigt. Nichtsdestotrotz kommt es oft zu Widerständen, wenn neue Windräder, Photovoltaik (PV)-Anlagen oder Fernwärmetrassen gebaut werden. Dann greift das „Nimby“-Prinzip: not in my backyard, bloß nicht vor meiner Haustür.

Energiewende als Vorgabe für Kommunen

Kommunen haben oft aber gar keine andere Möglichkeit, wenn die gesetzlichen Vorgaben zur Wärmewende oder auch aus dem Koalitionsvertrag 2022 in Nordrhein-Westfalen eingehalten werden sollen. Aus letzteren resultiert beispielsweise das Vorhaben, mindestens 1.000 neue Windenergieanlagen bis 2027 zu schaffen. Wie also umgehen mit dem Widerspruch?

Dr. Jörg Radtke befasst sich nicht nur wissenschaftlich mit dieser Problematik, er berät auch die Politik zu diesem Thema und war Mitglied der Enquetekommission III „Digitale Gesellschaft: Utopien und Dystopien der digitalen Moderne“ im Landtag Nordrhein-Westfalen. Aktuell leitet er am RIFS (Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam) die Forschungsprojekte „ENVIKO - Partizipative Energiewende-Visualisierung und Kommunikation", „BE:ST - Bürger- Energie: Strukturstärkung" sowie „CREATE:ENERGY“. 

Im Rahmen des Schulungs- Austauschformates Coffee Lecture gab er wertvolle Einblicke in die Herausforderungen, vor denen die Kommunen in Nordrhein-Westfalen stehen, interessante Zahlen einer Umfrage zur Energiewende und Tipps, wie Beteiligung dabei wirksam werden kann. Einen besonderen WOW-Effekt liefert jedoch die Praxis: Mit Hilfe von Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) ist für neu geplante Baumaßnahmen leicht ersichtlich, wie diese sich in die Umgebung einfügen – das Forschungsprojekt „ENVIKO“ hat genau das zum Inhalt.


Beteiligung als Hebel gegen den Widerstand

NRW ist keine Ausnahme, wenn es um die Argumente gegen den Ausbau der Windräder geht: Sie seien laut, schadeten Mensch und Tier, forderten zu viel Naturraum usw. Auch Dr. Jörg Radtke kennt diese Bedenken durch seine Forschungen. Vor allem in den Waldgebieten des Sauer- und Siegerlandes gibt es Widerstand gegen den Ausbau. Das Bundesland war lange an den Kohleabbau gebunden, mit den Kohlelausstieg müssen alternative Energieversorgungen her. Dabei spielen nicht zuletzt auch die Kosten für die Wärmeplanung (z. B. durch neue Trassen) eine Rolle. 

Der Notwendigkeit einer stabilen und zukunftsgerechten Energieversorgung stehen Bedenken und die Sorge vor Veränderungen gegenüber. Bürgerbeteiligung kann helfen, Verständnis für alle Positionen zu gewinnen sowie die Akzeptanz für die Maßnahmen zur Energiewende zu erhöhen. 

Wichtig dabei, ist das Beteiligungsparadoxon zu beachten: Frühzeitiges Einbeziehen der Menschen, denn zu Beginn einer Beteiligung gibt es die meisten Möglichkeiten einer Einflussnahme. Da ist häufig aber das Interesse noch gering. Erst bei einem fortgeschrittenen Prozess wird es wieder stärker, dann jedoch kann viel weniger Einfluss genommen werden.

 


Bürgerbeteiligung in der Energiewende: Was bedeutet das?

Zur Verfügung stehen für die Partizipation der Bürgerschaft diese Möglichkeiten:

  • Formelle Öffentlichkeitsbeteiligung mit Stellungnahmen der Bevölkerung; dies kann online, zum Beispiel auch über Beteiligung NRW oder vor Ort durchgeführt werden
  • Informelle Bürgerbeteiligung durch Informationsveranstaltungen vor Ort mit den Vertretern der Kommunen und der Vorhabenträger; eine sehr häufige Form, um sowohl Information als auch Dialog zwischen den Beteiligten zu ermöglichen
  • Bürgerentscheid oder Petitionen, um prinzipiell über ein Thema abzustimmen; diese Form wird eher nachrangig genutzt; noch seltener wird ein Bürgerrat initiiert

Die Bürgerbeteiligung in der Energiewende unterscheidet sich damit an dieser Stelle nicht von anderen Bauprojekten: Der Fokus liegt auf der Information und weniger dem Mitplanen oder Mitentscheiden. Nur Stellungnahmen der Bürgerinnen und Bürger sind möglich.

Weil die Erwartungen in einem Beteiligungsprozess zwischen Bürgerschaft und Initiatoren (zum Beispiel Vorhabenträger) auseinander liegen können, ist es bei der Planung der Prozesse wichtig zu wissen, welche Angebote, Fragen und Formate den größten Erfolg versprechen.

Dr. Jörg Radtke hat genau dies untersucht und gewährte spannende Einblicke in eine wissenschaftliche Umfrage zu Präferenzen der Bevölkerung für Windenergie-Nutzung, die er in Nordrhein-Westfalen durchgeführt hat. 


Was die Bevölkerung sich bei der Energiewende wünscht

So bevorzugen fast die Hälfte der Befragten die Informationsveranstaltung unter der Prämisse „Angenommen, in Ihrer Nähe wird ein Windpark geplant: Wie würden Sie sich gerne darüber informieren?“.  Darauf folgen bereits die Begehung und die Visualisierung auf Platz 3.

Um eine adäquate Bewertung zu einem geplanten Windrad abgeben zu können, besteht demnach der Wunsch, solch ein Bauwerk zu sehen. Hier greift der „Picture Superiority Effect“ (Bildüberlegenheitseffekt). Der Mensch kann sich visuelle Informationen besser merken als verbale oder schriftliche Informationen, denn im Gehirn werden Bilder anders verarbeitet und gespeichert. Sie erzeugen eine gesteigerte Aufmerksamkeit als gesprochene Worte oder geschriebener Text. 

Wenn hier bei Beteiligungen mit möglichst anschaulichen Bildern gearbeitet wird, hilft das bei der Einordnung des Vorhabens. Kurz: Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.

Die Frage nach den gewünschten Informationen zeigt die zu erwartenden Vorbehalte gegenüber Windrädern. Am wichtigsten sind den Befragten die möglichen unmittelbaren Auswirkungen auf Mensch und Natur.

Wie können dann Lösungen für Konflikte bei der Planung eines Windparks aussehen? Präferiert wird die Abstimmung durch einen Bürgerentscheid, doch auch die Einbeziehung von Experten wird als Möglichkeit geschätzt. 

Wenn es um den Austausch zu dem geplanten Projekt geht, liegt die Präsenz vor Ort weit vor Online-Formaten, denn man möchte das Gegenüber sehen können und persönlichen Kontakt bzw. Vertrauen aufbauen.


Wie kann Bürgerbeteiligung online einen höheren Mehrwert erzielen?

Damit befinden sich Kommunen in einem Dilemma: Online sind in der Regel nur Stellungnahmen und Informationen möglich, die häufig keine hohe Resonanz erzielen. Dialogveranstaltungen können zwar online stattfinden, sind jedoch dann oft nicht gut besucht oder entsprechen nicht den Erwartungen der Beteiligten. Wie kann man also den Mehrwert von Online-Formaten erhöhen? 

Empfehlenswert ist an dieser Stelle der Einsatz von integrierten digitalen Formaten im Rahmen der partizipativen Energiewende, vor allem die Visualisierung. In dem man einen Ausschnitt der geplanten Wirklichkeit zeigt, wird diese besser vorstellbar und leichter einzuordnen. 

Zwei Visualisierungsszenarios werden derzeit für die Online-Beteiligung im Kontext der Energiewende eingesetzt:  

  1. Augmented Reality (AR): In ein Foto oder auch ein Livebild wird ein Objekt wie beispielsweise ein Windrad eingesetzt. Anhand dieses Abbilds lässt sich gut ablesen, wie sich das Objekt in eine Sichtachse einfügt. Im Unterschied zu einer Fotobearbeitung lassen sich die Perspektiven individuell darstellen – je nachdem wo man steht, verändert sich die Draufsicht.
  2. Virtual Reality (VR): Ähnlich wie in einem Computerspiel bewegt man sich dabei gefühlt in einer virtuellen Umgebung und hat einen 3D-Effekt. So ist es theoretisch möglich, sich durch die Straßen einer Kommune zu bewegen und einen geplanten Windpark zu besuchen. Auch hier sind Größenverhältnisse und damit Auswirkungen auf die Umgebung gut ablesbar.

Extratipp: Aktuell läuft das Forschungsprojekt ENVIKO (Partizipative Energiewende-Visualisierung und Kommunikation) des RIFS Potsdam, der Universität Mainz, der Universität Siegen und der LandPlan OS, zudem sich weitere Kommunen melden können und welches sowohl AR als auch VR untersucht.

Stefan Kauling von LandPlan OS demonstrierte innerhalb der Coffee Lecture-Schulung live den „Flug“ durch die virtuellen Welten von AR und VR, was für „WOW“-Momente sorgte. Der Unterschied zu einer reinen Draufsicht bzw. einer Projektskizze wurde sehr klar und der Mehrwert, Online-Beteiligungen auch mit Visualisierungen anzureichern, mehr als deutlich. Die Planung von Windkraftanlagen ist übrigens nur eine Möglichkeit des Einsatzes, auch Wärmeplanung oder Freiflächen-Photovoltaik eignen sich gut.


5 Tipps, die Bürgerbeteiligung in der Energiewende erfolgreich machen

1. Frühzeitig planen 

Damit minimieren die Kommunen den Bulldozer-Effekt, wirken dem Beteiligungsparadoxon entgegen und können Prozesse besser steuern.

2. Grenzen der Beteiligung aufzeigen

In den Informationen klar aufzeigen, was beeinflussbar ist und was nicht. Aber auch mit allen Beteiligten die Spielräume ausloten, um echte Partizipation zu schaffen. 

3. Möglichkeiten für Feedback und Kommentierung schaffen

Wie die Umfrage deutlich macht: Die Bevölkerung wünscht sich bei Baumaßnahmen wie Windparks u. ä. umfangreiche Informationen und Transparenz zum Projekt. Dem sollte man Rechnung tragen, um späteren Widerständen vorzubeugen. 

4. Breite Mobilisierung der Bevölkerung

Von Beginn an offen, proaktiv und neutral die Angebote über unterschiedliche Kommunikationskanäle strategisch sichtbar machen. Der Diskussionsraum wird sonst schnell komplett von den Gegnerinnen und Gegnern besetzt.  

5. Visualisierungen nutzen

Zur Einordung und Überzeugung der geplanten Maßnahmen sind Visualisierungen mit AR und VR sehr hilfreich. Kommunen können sich bei Forschungsprojekten Unterstützung holen.


Fazit für den Einsatz von VR in Beteiligungsprozessen


Man muss es sehen, um es zu verstehen: So lässt sich kurz zusammenfassen, was als Erfolgsfaktor bei der Beteiligung in der Energiewende fungiert. Neue Visualisierungsformate wie Virtual Reality helfen dabei, dass sich das Ergebnis einer Planung noch näher am späteren Bedarf orientiert. Sie nehmen die Menschen vor Ort mit und lassen Optimierungspotentiale frühzeitig im Prozess erkennen, wenn also noch nicht der „Bulldozer-Effekt“ eingetreten ist.

Für die Bürgerbeteiligung bedeutet das einerseits eine wahrscheinlich höhere Akzeptanz des Vorhabens und andererseits eine objektivere Diskussion zur Windkraftanlage oder ähnlicher Maßnahmen vor Ort. Widerstände bei Bauprojekten sind normal, der Diskurs kann jedoch durch eine breite Mobilisierung und transparente Kommunikation zielgerichteter verlaufen. 

Wir danken den beiden Referenten Dr. Jörg Radtke und Stefan Kauling für die Einblicke in die Möglichkeiten von VR und AR bei Beteiligungsprozessen.