Überblick: Was Bürgerräte leisten können & wie sie funktionieren
Ein wirksames Mittel zur Stärkung der Demokratie
- Bürgerräte stärken die Demokratie, weil sie die Meinung der Bevölkerung als Katalysator an die Politik vermitteln können.
- Konsens, der in einem geschützten Raum entsteht, ist oberstes Gebot bei der Formulierung von Empfehlungen an Parlamente.
- Um einen Bürgerrat erfolgreich zu machen, braucht es vor allem den Willen der Politik, die Ergebnisse offen aufzunehmen und mit der Bürgerschaft transparent zu kommunizieren
Haben Bürgerräte echten Einfluss? Wie muss ein Bürgerrat aufgebaut sein, um wirklich etwas zu bewegen? Das Format der Öffentlichkeitsbeteiligung tritt in den vergangenen Jahren verstärkt in Kommunen, auf Landes-, Bundes- und Europaebene auf. Welche Erwartungen an Bürgerräte gestellt werden und was wirklich ihre Aufgabe ist, erklären wir in diesem Beitrag.
Bürgerräte gibt es weltweit, aber Deutschland ist unter den Top 3 der Länder, die am häufigsten mit dem Format arbeiten. Das passiert nicht nur, weil inzwischen sechs Bundesländer, darunter auch Nordrhein-Westfalen, Bürgerräte in den Koalitionsverträgen verankert haben, sondern vor allem, weil der Mehrwert von Bürgerräten für die Entscheidungsfindung erkannt wird.
Was ist ein Bürgerrat? – Aufgaben, Zusammensetzung und Ablauf
Ein Bürgerrat widmet sich immer nur einem Thema und nimmt dafür das Feedback der Bevölkerung auf. „Bürgerräte haben nicht die Aufgabe, Parlamenten die Entscheidungen abzunehmen, sondern sie formulieren Empfehlungen für die Politik.“ So bringt es Thorsten Sterk von Mehr Demokratie e.V. auf den Punkt, der als Experte schon eine ganze Reihe von Bürgerräten begleitet hat, und in der Coffee Lecture ausführlich sein Wissen dazu teilte. Parlamentarier erhalten also durch einen Bürgerrat eine gewisse Richtungsempfehlung, die dann im Parlament (oder auch Stadtrat, Landtag usw.) behandelt wird.
Teilnahme am Bürgerrat per Losverfahren
Zusammen finden die Menschen im Bürgerrat über ein Losverfahren. Entweder über die Zufallsauswahl:
- Es liegt ein Auszug aus dem Einwohnermelderegister zugrunde
- Die Menschen werden per Post zum Bürgerrat eingeladen
- Aus den Rückmeldungen wird ein geschichtetes Losverfahren entwickelt: Die Zusammensetzung des Gremiums erfolgt nach Alter, Geschlecht, Wohnort usw., um möglichst alle Zielgruppen einzubeziehen
Oder über das aufsuchende Losverfahren:
- Es wird vor allem bei marginalisierten oder schwer zu mobilisierenden Gruppen eingesetzt
- Durch persönliche Ansprache vor Ort soll die Motivation zur Teilnahme am Bürgerrat gesteigert werden
- Wichtig: Hilfestellung anbieten und Bedürfnisse erfragen, um die Menschen zu motivieren
Wer sich für einen Bürgerrat entscheidet, dem steht Unterstützung zu. Diese staffelt sich nach Umfang und reicht von einer einfachen Aufwandentschädigung über Reisekosten bis hin zu möglichen Betreuungsangeboten für Kinder während der Sitzungszeit. Tipp: Achten Sie auf die Barrierefreiheit für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Meetingräume müssen behindertengerecht sein, Online-Tools für alle verständlich und nutzbar.
Größe und Dauer eines Bürgerrates
Feste Zahlen gibt es nicht – hier gilt: Es kommt darauf an. Womit befasst sich die Gruppe? Welchen Impact hat das? Ein kommunaler Bürgerrat kann z. B. mit etwa 20 Personen sehr gute Ergebnisse erzielen; bundesweite Bürgerräte wie „Deutschlands Rolle in der Welt“ brauchen größere personelle Ressourcen. Theoretisch kann die Teilnehmeranzahl auch ALLE heißen, wenn es sich um eng gefasste Projekte handelt.
Auch die Dauer des Prozesses ist sehr unterschiedlich: Es gibt Themen, die sind an einem Nachmittag abgehandelt und es gibt Bürgerräte, die über Monate zusammenarbeiten.
Wie läuft ein Bürgerrat genau ab?
Wichtig zu wissen: Die Teilnehmenden werden von Fachleuten zur Thematik begleitet und beraten. Somit starten sie nicht „bei null“. Dieses Expertenwissen – Pro und Kontra – kann u. a. durch Interviews via Live-Stream oder als Vortrag bereitgestellt werden.
Im Anschluss arbeiten (meist moderierte) Kleingruppen im enger Austausch miteinander und dokumentieren ihre Vorschläge zur Problematik, beispielsweise ein neues kommunales Gewerbegebiet. Konsens ist das oberste Gebot, denn die Empfehlungen an die Politik sollen auf breiter Basis stehen und die Gemeinsamkeiten betonen.
Dafür müssen unterschiedliche Perspektiven in die Entscheidungsfindung einfließen, die von allen anderen wertgeschätzt und offen diskutiert werden. Ein diverses Team, das respektvoll miteinander umgeht, einander zuhört und einen sicheren Raum für Austausch schafft ist die Grundlage für eine hohe Akzeptanz der Ergebnisse.
Was sind die Vorteile eines Bürgerrates?
Thorsten Sterk zieht hier den Vergleich zum gewählten Bundestag, der zur überwiegenden Mehrheit aus Akademikern besteht. Im Bürgerrat mit seiner heterogenen Besetzung ohne Statusunterschiede gelingt der Perspektivwechsel und das Auflösen von Filterblasen einfacher. In diesem geschützten Raum werden auch Menschen gehört, die sonst wenig Aufmerksamkeit in der Zivilgesellschaft finden.
- Der Vorteil für Politikerinnen und Politiker: Sie bekommen aus erster Hand Einsicht in die Probleme der Menschen und ihre politische Haltung zu den gewählten Themen.
- Der Vorteil für die Bürgerschaft: Es entsteht ein Verständnis für die politische Entscheidungsfindung und Respekt vor der Arbeit im Parlament.
- Der Vorteil für die Verwaltung: Expertenwissen kann eingebracht werden, was Anerkennung verschafft und die Beratungsqualität erhöht.
Wie wird der Bürgerrat zum Erfolg?
Der Erfolg eines Bürgerrates hängt zu einem großen Teil davon ab, dass die Bürgerinnen und Bürger sich ernstgenommen fühlen. Sie müssen unbedingt transparent darüber informiert werden, was mit den erarbeiteten Ergebnissen passiert – im Idealfall gibt es auch nach Abschluss des Formates Updates zum Stand des diskutierten Projektes.
Erfolgsfaktoren auf einen Blick sind:
- Anbindung an Politik – Aufnehmen der Empfehlungen aus der Bevölkerung
- Ressourcen – ausreichend Geld und Personal zur Verfügung stellen
- Ergebnisoffenheit – Alternativen sind unbedingt wünschenswert
- frühzeitige Einrichtung – Tipp: Bürgerrat vor Bürgerprotest
- Transparenz – für alle: auch Außenstehende mitbedenken
- Öffentlichkeit – Kommunikation schafft Wertschätzung und Aufmerksamkeit
Wer bestellt, der bezahlt. Die Regel gilt auch bei der Initiierung dieser Bürgerbeteiligung. Die finanziellen Mittel müssen Bund, Land oder Gemeinden deshalb frühzeitig hierfür einplanen und sich ggf. auch um Fördergelder kümmern.
Eine große Öffentlichkeit für den Prozess trägt stark zum Gelingen bei. Einzubinden sind dabei auch Vereine oder Initiativen, die dem Thema skeptisch gegenüberstehen. Sie können wichtiges Expertenwissen beitragen und bringen Erfahrung für das Sujet mit. Wird die Zivilgesellschaft schon von Beginn an einbezogen, reduziert man spätere Widerstände.
Öffentlichkeit bedeutet zudem eine kontinuierliche Kommunikationsbegleitung des Bürgerrates. Informationen via Presse, beispielsweise auch über die Internetseiten von Kommunen, die aktuell einen Bürgerrat veranstalten, finden sich häufig nicht oder nicht ausreichend, bemängelt Thorsten Sterk.
Für die Öffentlichkeitsarbeit können sehr unterschiedliche Formate genutzt werden – auch mit knappen Ressourcen sollte sich doch das ein oder andere umsetzen lassen:
- Pressekonferenzen
- Pressemitteilungen
- Veranstaltungen
- Live-Streams
- Online-Dokumentation
- Bilder/Videos
- Umsetzungsbericht
Bürgerräte aktuell: Will die Politik diese Beteiligung?
Der Trend spricht dafür: Die Anzahl der eingesetzten Bürgerräte in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, vor allem im lokalen Bereich. Themen wie Stadtentwicklung, Verkehr und Klima stehen dabei am häufigsten auf der Agenda. Auf NRW-Landes- und auf Bundesebene ist das Format in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben, und auch die EU verfolgt den Ansatz zur verstärkten Einbindung der Bürgerschaft weiterhin.
Beispiele für erfolgreiche Bürgerbeteiligungen in Nordrhein-Westfalen sind der Bürgerrat zur Zukunft der Oper in Düsseldorf oder der Bürgerrat zur Nachhaltigkeit in Jülich.
Als Bürgerbeteiligung, die sich als wirksam, konsensfördernd und befriedend erwiesen hat, plädiert der Experte deshalb dafür, Bürgerräte noch häufiger einzusetzen, „weil sie das demokratische Spektrum erweitern“.
Fazit zu Bürgerräten
Das können sie leisten und so funktionieren sie
Das Ohr an der Bevölkerung, um Stimmungen und Wünsche direkt in politische Entscheidungen einfließen zu lassen – das ist ein großer Vorteil eines Bürgerrates. Das Format der Bürgerbeteiligung zeichnet sich vor allem durch seine diverse Zusammensetzung aus, wobei Verfahren wie die Zufallsauswahl unterstützen. Unterschiedliche Meinungen zu einem Thema werden konsensorientiert gebündelt, damit stehen die Empfehlungen an die Politik auf einer breiten Basis.
Bürgerräte sind ein starkes, innovatives Beteiligungselement sowohl auf kommunaler bis hin zur europäischen Ebene. Wichtig: Ein Bürgerrat braucht ausreichend Ressourcen, auch durch Fachwissen, was beispielsweise aus der Verwaltung kommt.
Wir danken Thorsten Sterk für die umfangeichen, praxisnahen Informationen zu Bürgerräten im Rahmen der Coffee Lecture.